Samstag, 20. Juni 2020

Die Rabenklippen

Zwischen Harzburg und Stapelburg zieht sich ein Netz aus Forstwegen durch den Harz. Es verfügt über laut sprudelnde Bäche und Gräben, die typischen Harzholz-Wegweiser (als mal einer fehlte, bin ich natürlich direkt falsch abgebogen) und Wasserfälle aus Gras. Diese Wege führen zu Sehenswürdigkeiten, von denen einige etwas mit der Grenze zu tun haben.

Selbst im tiefsten Winter leben hier zwei Tierarten: Pochende Spechte und leise schleichende Luchse. Beide haben mich sehr beeindruckt.
Der Specht (in der Mitte links am Stamm) war nämlich der erste, den ich nicht nur in der Ferne klopfen gehört, sondern gesehen habe. Er flatterte immer wieder um den Baum und hatte sich noch nicht endgültig für eine bestimmte Stelle entschieden, wo er sein Nest in den Baum hämmern wollte. Sein Meißelschnabel sah kleiner aus als gedacht, ein zähes kleines Ding.

Über den Bergen von Bad Harzburg ragt das eiserne Kreuz des Deutschen Ostens aus dem Nebel und Schnee. Es ist ungefähr dreimal so groß, wie es auf dem Foto aussieht. Als ich es auf einer Wanderung gesehen habe, fühlte ich mich richtig überrumpelt, als der Koloss aus Holz und Eisen plötzlich auf mich herabschaute. Das Kreuz erinnert neben der Grenze vorwiegend an die Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg. Deshalb stehen ringsherum Felsbrocken mit den Wappen der früheren deutschen Ostgebiete. 
Das Kreuz steht nicht direkt an der Grenze. Dafür gibt es einen Grund.

Der Grund ist: Die Eckerschlucht ist dermaßen eng und unwegsam, dass anfangs nicht einmal ein Wanderweg darin verläuft (von einem Radweg ganz zu schweigen). Schilder versuchen, die Wanderer von der Schlucht wegzulotsen.
Über dem Tal erheben sich die Rabenklippen. Sie bestehen aus diesen typischen graubraunen Harz-Felsen. Die einzelnen Felsklumpen sind hier zu einer richtigen Klippe zusammengewachsen und liegen nicht einzeln herum wie anderswo im Harz. Was sie mit Raben zu tun haben, weiß ich nicht. Der neblige Winter ist vermutlich nicht die beste Jahreszeit, um von dort herunterzuschauen und mit etwas Glück die Talsohle erkennen zu können. Die schlechteste Jahreszeit ist es aber auch nicht. Selten ist eine Landschaft so radikal weiß.

Die Rabenklippen sind ein beliebtes Ausflugsziel - außer im Winter, da war ich der einzige, der sich zu den Klippen traute. Denn dazu musste ich die völlig vereiste und zugeschneite Treppe überwinden, die zu einer rutschigen Rampe entfremdet war. Weil ich mich mit beiden Handschuhen am Geländer festhielt, ging es, ich wäre nur zweimal fast hingefallen.

Direkt hinter den Klippen stolzieren Luchse mit aufgerichtetem Schwanz durch ihr weitläufiges Luchsgehege. Die großen grauen Katzen scheinen sich im Schnee sehr wohlzufühlen und wälzen sich gelegentlich gemeinsam in dem kalten Zeug, wobei ich nicht weiß, ob das nun Spiel, Kampf, Paarungsritus oder alles zugleich war.

Bad Harzburg hat eine große Vorliebe für Raubkatzen: Zum Luchsgehege führt der ausgeschilderte Luchspfad, und zum Wildkatzengehe der Wildkatzenpfad. Wildkatzen sind scheue Tiere, da ist es nur passend, wenn der Wildkatzenpfad durch das sehr ruhige, verstreckte Tal des Reichenbachs führt. Der Pfad ist mit einer Bushaltestelle für Wildkatzen, geschnitzten Wildkatzenfiguren und Wildkatzenbänken ausgestattet. Dahinter plätschern ganz leise die, nun ja, nennen wir sie mal Reichenbachfälle. Diesen Sturz hätte Sherlock Holmes vermutlich überlebt.


Ganz anders sieht es im Nachbartal aus. Da verlaufen neben einem Steinbruch sowohl die Bundesstraße als auch ein Fluss namens Radau. Bei dem Namen kann man sich schon denken, dass es da nicht ganz so leise und idyllisch ist. Trotzdem kann ich einen Ausflug in dieses Tal absolut empfehlen, und der Grund dafür ist ein Eisenbahner aus dem Jahr 1859. Der grub damals einen schnurgeraden Graben und schnorrte sich dadurch ein bisschen Wasser von der Radau.

Diesen Graben ließ er so clever an der Seite des Tals entlanglaufen, dass das geborgte Wasser viel höher als der ursprüngliche Fluss fließt. Deshalb möchte es gern zurück zu seinem ursprünglichen Fluss. Und das tut es, in dem es sich zielstrebig über die Kante einer Klippe stürzt - und runterfällt.

So entsteht der Radau-Wasserfall. Unter allen Wasserfällen im Harz habe ich bisher keinen gesehen, der höher war oder einen lustigeren Namen hatte.
Eine Regel im Harz lautet: Ist der Wasserfall zu hoch, dann ist er nicht natürlich. Von oben ist das an dem kleinen Kanal zu erkennen, von unten sieht der Fall auf den ersten Blick echt aus. Das Wasser plätschert um die kleinen Felszacken und sammelt sich rauschend am Fuß des Felsens. Obwohl, Moment mal, das entspricht viel zu sehr der menschlichen Idealvorstellung eines Wasserfalls, um natürlich zu sein!
Warum hat sich der Eisenbahner so viel Mühe gemacht, den Wasserfall anzulegen? Ganz einfach: Er wollte Touristen anziehen. Das klappt bis heute super, über und unter dem Wasserfall ist immer was los. Kein Wunder, dieser Fall ist nicht nur der spektakulärste im Harz, sondern auch noch super mit dem Auto oder Bus (1 Haltestelle von Harzburg) zu erreichen.

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