Mittwoch, 8. Juli 2020

Phasen des Mauerbaus

Aus der Schulzeit erinnere ich mich an Folgendes: 1962 wurde die innerdeutsche Grenze hochgezogen, die sah so aus wie auf diesem Schaubild (das alte Schaubild vom Bundesgrenzschutz, das bis heute immer verwendet wird) und so blieb die dann auch. Wenn man bedenkt, dass die DDR teilweise noch gar nicht im Geschichtsunterricht vorkommt, ist das natürlich gar nicht so schlecht.
Aber man lernt nie aus. Ich war ziemlich überrascht, wie sehr sich die Grenze im Kalten Krieg verändert hat. Eigentlich ist sie fast die ganze Zeit gewachsen und wurde perfektioniert. 1962 war nur ein besonders auffälliger Zeitpunkt, weil die Berliner Mauer so schnell gebaut wurde.

Phase 1 (ab 1952): Stacheldrahtzaun
Für jedermann leicht zu durchzuknipsen, wenn nicht gerade zufällig eine Patrouille kommt. Dieser Zaun war noch direkt auf der Grenzlinie.

Phase 2: Doppelter Stacheldraht mit Minen dazwischen
Immer noch kein allzu großes Hindernis. Die Wahrscheinlichkeit, auf eine Mine zu treten, ist dann doch nicht so hoch.

Phase 3 (ab 1966): Streckmetallzaun mit Minen
Die meisten Flüchtlinge sind trotzdem lieber mit der S-Bahn nach Westberlin gefahren, das war noch sicherer und bequemer. Deswegen wurde zuerst 1962 die Berliner Mauer hochgezogen. Danach war es die beste Option, den Stacheldraht durchzukipsen. Also war der nun die größte Schwachstelle und musste ersetzt werden.
Eine Betonmauer wie in Berlin wurde in der Nähe von Ortschaften gebaut, aber für die komplette Grenze war das zu teuer. Der Großteil der Grenze bestand deshalb aus langgestreckten Metallplatten mit rautenförmigen Löchern. Das ließ sich nicht durchschneiden und Klettern konnte man nur mit Hilfsmitteln.

Beim Grenzlandmuseum Eichsfeld wurde ein Stück Streckmetallzaun zu einem Mahnmal für die Mauertoten umfunktioniert. Ein Riss wie der in der Mitte war in der Realität leider kaum herzustellen.

Nur mit den Minen lief es nicht so gut. Die ersten Minen waren aus Holz und verrotteten schnell. Aber auch die Plastikminen machten Probleme. Bei starkem Regen waren sie leichter als der nasse Boden und wurden sonstwohin geschwemmt, auch auf westdeutsches Gebiet, weshalb bis heute nicht alle Minen gefunden wurden. Es war unvorhersehbar, ob am Ende ein Grenzsoldat, ein Westdeutscher, ein Wildtier oder niemand drauftrat. Und schließlich gab es nicht wenige Flüchtlinge, die Glück hatten und einfach auf keine Mine traten. Andererseits wurden trotzdem viele tragischerweise verletzt oder getötet, also sollte ich die Minen wohl auch nicht zu sehr ins Lächerliche ziehen.
Minen und eine Selbstschussanlage mitsamt Zaun im Grenzlandmuseum Eichsfeld

Phase 4 (ab 1971): Streckmetallzaun mit Selbstschussanlagen

Die Minen wurden also durch etwas ersetzt, das überhaupt nicht lächerlich war, sondern extrem gruselig. Den Selbstschussanlagen alias Splitterminen konnte niemand entkommen. Wer den Zaun bestieg, berührte unweigerlich einen der vielen Drähte. Aus einem der Metalltrichter des Grauens schoss ihm dann eine Ladung Schrot aus nächster Nähe an. Die Drähte mit einem Stock oder so aus der Ferne auszulösen, brachte auch nichts. Sie mussten schon richtig belastet werden.

aufgeschnittenes Modell einer Selbstschussanlage im Grenzmuseum Schifflersgrund.

Phase 5 (ab 1983): Grenzsignalzaun

Dann geschah etwas Unerwartetes: Die Grenze wurde wieder ein kleines bisschen humaner. Zu verdanken ist das Michael Gartenschläger. Dieser geflohene DDR-Bürger schlich sich zweimal von der Westseite an den Zaun und entfernte eine Selbstschussanlage. Beim dritten Mal wurde er entdeckt und erschossen.
Doch schon die ersten zwei Anlagen genügten als Beweis. Die DDR-Regierung bestritt nämlich, dass sie solche Anlagen verwendete, da es ihr eigentlich laut einem völkerrechtlichen Abkommen verboten war. Michael Gartenschläger übergab die Minen der BRD-Presse und bewies, dass die Genossen gelogen hatten.
Angeblich verlangte die BRD dann als Bedingung für Kredite den Abbau der Selbstschussanlagen. (Das ist aber umstritten.) Die DDR baute sie jedenfalls ab, weil sie inzwischen den Hinterlandzaun alias Grenzsignalzaun entwickelt hatte. Sobald ein Flüchtling diesen Zaun überquerte und glaubte, er sei schon im Westen, ging ein Alarm bei den Grenzsoldaten ein. Die fingen den Flüchtigen, bevor er den eigentlichen Zaun erreichte.
Hinzu kamen dann noch an vielen Stellen Hunde mit einem extra Hundezaun.
Fluchten wurden dadurch ebenso effektiv verhindert, aber zumindest gab es weniger Tote. Jedenfalls klingt dieses System nicht ganz so unmenschlich.

Signalzaun und Hundezaun am Flächendenkmal Hötensleben

Phase 6 (geplant für das 21. Jahrhundert): Hightech-Grenze

Aufgrund neuer Erfindungen sollte zur Jahrtausendwende mit Infrarotschranken, Vibrationsalarmanlagen und Mikrowellen (nein, den Grenzsoldaten sollte damit kein Essen aufgewärmt werden) aufgerüstet werden. Das sollte ein perfekter Grenzsignalzaun werden, damit jeder Flüchtige vorher aufgespürt werden kann und kaum noch geschossen werden muss. Das Projekt Grenze 2000 war ziemlich ambitioniert, wenn man bedenkt, dass die DDR eh schon pleite war und jedes Jahr eine Milliarde für die Grenze zum Fenster hinauswarf. Deshalb verhinderte eine gewisse Revolution auch die Umsetzung der Grenze 2000. Wer sie ansehen will, muss also in das Paralleluniversum reisen, wo die polnische Serie 1983 spielt und der Eiserne Vorhang noch steht (weil sich nach schweren Terroranschlägen die polnischen Bürger und die katholische Kirche hinter das sozialistischen Regime stellen, das sich ähnlich wie in China modernisiert hat, weshalb es nie zu den großen solidarnos-Protesten und daher auch nicht zu den anderen Protesten im Ostblock kommt).

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